6.1 – 19.1.21 – Kölibri Fenster Galerie

Den ganzen Winter Kunst im Fenster! Diesmal mit Dani Freitag und Sibbe Rakete.

Dani Freitag von den BarKeeprs:

Alte Bars verschwinden und damit eine jahrzehntelang gewachsene Begegnungs-, Besäufnis- und Subkultur. Ersatzlos. Denn falls sie in den seelenlosen, pastellfarbenen, atmosphärisch verödeten Einheitsklötzen an gleicher Stelle wiedereröffnet wurden – jede Aura wäre verloren: Die alten Wände, mit einer Patina aus altem Schweiß und Nikotin, alte Tresen, die unendlich viele Klagewehen an Barkeeper*innen gehört haben, kleine Bühnen auf denen semi-professionelle Kollektive ihr Herzblut vergossen haben. Wir wollen diese Räume für die Nachwelt erhalten.
Deshalb bauen wir Modelle solcher Bars, Kneipen und Clubs im unmittelbaren Einzugsgebiet von St. Pauli, das wie kaum ein anderer Stadtteil von brachialer Umstrukturierung betroffen ist, nach. Weil potenziell schmutzige, potenziell laute, potenziell stromlinienferne Gastronomie zwischen den neu entstehenden Lifestyleläden und baugleichen Grundversorgungseinrichtungen für inner- wie außerstädtischen Tourismus strukturell immer unerwünschter werden.

Mit klassischem Modellbau hat das zwar nur weitläufig zu tun, ist ihm aber technisch verwandt. Wir sind detailverliebt, jedes alte Poster, jeder Schimmelbefall, jedes Tag und jede Ritze im Gemäuer wird von uns detailgetreu nachgestellt und am Ende mit dem Original fotografisch ins Verhältnis gesetzt.

Zu erhalten, was städteplanerisch nicht für erhaltenswert gilt, greifbar zu machen, was sich architektonisch dematerialisiert, Leerstellen zu füllen mit Denkmälern en miniature – das ist unser Anliegen.

Bastelei: Dani Freitag
Fotos: Alexandra Grieß

Instagram barKeepers_st.pauli
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Kontakt erna.altona@gmx.de

Sibbe Rakete RTK:

Geborene Druckkessel sind gut beraten, über ausreichend Druckventile zu verfügen. Sibbe Rakete zum Beispiel, 1979 als Sebastian Lange zwischen Gummersbach und Köln geboren, hat schon im rechtsrheinischen Bibelgürtel der frühen Neunziger gelernt, gehörig Dampf abzulassen. Seit der Dorfpunk vor 20 Jahren nach St. Pauli zog und zum Stadtpunk wurde, hat er sich daher diverse Möglichkeiten erarbeitet, die vielen Systemkonflikte seiner Existenz zu kompensieren.
Als Drummer, Sänger, Frontmann mehr oder minder brachialer Hardcorebands von Putzangst über Sozialverträgliches Ableben und Tarantula Krise bis hin zur Notgemeinschaft Peter Pan, schrie er seine Wut über die kapitalistisch-rassistischen Verhältnisse lautstark nach draußen. Zwischendurch hat der vierfache Vater noch seinen unveröffentlichten Roman geschrieben und ein Kinderbuch nachgelegt. Er engagiert sich rund um den FC St. Pauli und gibt mehrere Fanzines heraus. Er ist überhaupt auf allen Ebenen der Stadtteilkultur aktiv. Vor allem aber malt er. Schon immer. Und mittlerweile mehr denn je.
Art brut nennt der Autodidakt sein Werk selber. Mit Kamera und Pinsel, Stift oder Schere vermischt sie dadaistischen Realismus und konkreten Impressionismus zu einer Art politischer Kunst, die gelegentlich an privates Ad-Busting erinnert und damit auf sonderbar gemütliche Art hochpolitisch ist. Sibbe Raketes Motive sind Alltagssituationen eines ambivalenten Stadtteils, seine Materialen Gelegenheitsuntergründe von Leinwand bis Zeitung. So kommentiert er das richtige Leben im Falschen mit Ironie und Empathie, statt erhobenem Zeigefinger. Und immer schwingt sein Bedürfnis mit, Druck abzubauen. Bei sich, beim Betrachten. Gerade jetzt.
Das Skizzenbuch hatte er schließlich schon vor der Covid-Krise stets dabei. Jetzt allerdings ersetzt es all die unterschiedlichen Ausdrucksformen seiner präpandemischen Existenz und hilft ihm dabei, „der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und ihre hässliche Fratze, aber auch ihre unverwechselbare Schönheit aufzuzeigen“, wie er es ausdrückt. Tief verwurzelt im eigenen Quartier mitsamt der Fankultur des ortsansässigen Fußballvereins, skizziert Sibbe Rakete gefährdete oder verlorene Orte, vor allem aber die Menschen darin und stellt damit mal das Offensichtliche, mal das Unsichtbare ins Zentrum seiner Kunst.
Ab 6. Januar ist sie im Schaufenster des Kölibri zu sehen, spüren, erleben. Nur von außen zwar, aber dafür jederzeit, rund um die Uhr, für jedermann und jedefrau verfügbar, um Druck abzulassen in einer wahnsinnigen Zeit.

Kontakt:sibbelange@web.de
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